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Abschaffung der Arbeitszeiterfassung: 2,8 Mia. Franken Gratisarbeit jährlich will ein parlamentarischer Vorstoss!

Die beabsichtigte Aushöhlung des Arbeitsgesetzes ist nicht nur ungesund für die Angestellten, sie ist auch ein Raubzug auf ihr Portemonnaie. Die angestrebte Abschaffung der Arbeitszeiterfassung ist eine gigantische Einsparung der Wirtschaft auf dem Buckel der Arbeitnehmenden und der Sozialversicherungen.

Nur mit Arbeitszeiterfassung können die sinnvollen Regelungen des Gesundheitsschutzes eingehalten werden. Das Notieren der Arbeitszeiten stellt darüber hinaus sicher, dass Überstunden kompensiert oder fair entschädigt werden können. Für leitende Angestellte sowie Fachspezialistinnen und -spezialisten würde genau dies mit der von Ständerätin Karin Keller-Sutter eingereichten parlamentarischen Initiative 16.423 in Zukunft verunmöglicht.

Mit dem Arbeitsvertrag verpflichtet sich der Arbeitgeber zur Lohnzahlung für die mit der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer vereinbarte Arbeitszeit. Ohne Arbeitszeiterfassung verkommt der Arbeitsvertrag zu Makulatur – und die geleistete Mehrarbeit zu Gratisarbeit! Als treibende Kraft hinter diesem Ansinnen stehen ausgerechnet Arbeitgeber der Wirtschaftsprüfer-Branche. Mit 65 Überstunden pro Jahr (oder einer Quote von 3,4 Prozent) leisten die Arbeitnehmenden in dieser Branche, nach dem Kredit- und Versicherungswesen, am zweitmeisten Überstunden. Beim Angriff auf Arbeitsgesetz und Arbeitszeiterfassung geht es neben dem fahrlässigen Abbau des Gesundheitsschutzes also auch um Geld – um sehr viel Geld!

Gratisarbeit und Beschiss an den Sozialversicherungen!
Wir sind – auch im europäischen Vergleich – ein Volk von «Chrampfer/-innen»: Im Schnitt leistet jede/jeder Arbeitnehmende neben der wöchentlichen Arbeitszeit von 41,7 Stunden noch 45 Überstunden pro Jahr. 2015 summierte sich das auf 195 Millionen Überstunden. Der «Barometer Gute Arbeit» von Travail.Suisse zeigt denn auch auf, dass 37,8 Prozent der Arbeitnehmenden sich oft oder sehr häufig gestresst fühlen. Zunehmend negativ beurteilen sie auch, dass Arbeitsmenge und Arbeitszeiten ungenügend beeinflusst werden können.

Syna hat berechnet, dass die parlamentarische Initiative Keller-Sutter für die betroffenen leitenden Angestellten und Fachspezialist/-innen jährliche Gratisarbeit im Umfang von schwindelerregenden 2,876 Milliarden Franken zur Folge hätte. Mit dieser nicht entschädigten Arbeitsleistung könnte das Stade de Suisse achtmal gebaut werden – jährlich.

Veraltetes Arbeitsgesetz, flexibleres Arbeiten, Bedürfnis der Branchen? Mit diesen Schlagworten streut der Schweizerische Arbeitgeberverband Nebelpetarden! Denn bei dieser Arbeitsgesetz-Revision geht es vor allem auch um Geld – viel Geld, das nicht nur in Zukunft einem Drittel der Arbeitnehmenden unterschlagen werden soll, sondern auch noch den Sozialversicherungen vorenthalten würde. Eine Viertel-Milliarde Franken an Lohnbeiträgen würden aufgrund der Gratisarbeit nicht in die AHV-Fonds fliessen, 358 Millionen Franken pro Jahr würden den Sozialversicherungen insgesamt vorenthalten. Mit diesen Lohnabzügen könnten zum Beispiel die von uns geforderten vier Wochen Vaterschaftsurlaub finanziert werden.

Eine Woche Familienferien – bachab!
Auch auf die Individuen heruntergebrochen sind die Zahlen erschreckend. Eine Woche nicht erfasste und somit gratis geleistete Mehrarbeit hat bei der betroffenen Einkommensklasse einen Gegenwert von rund 2000 Franken: 2000 Franken, die fehlen, um zum Beispiel eine Woche Familienferien zu finanzieren. Diese 2000 Franken jährlich entsprechen zudem der summierten Reallohnerhöhungen der letzten zwei Jahre. So würden die Mehrkosten der Lohnerhöhungen mit entsprechender Gratisarbeit von den Arbeitnehmenden selber wieder abgearbeitet!

Kein Vertrauen in Vertrauensarbeitszeit
Mit den heutigen technischen Möglichkeiten ist die Arbeitszeiterfassung ein Kinderspiel, auch bei sehr flexiblem und ortsunabhängigem Arbeiten: Es gibt Smartphone-Applikationen für Arbeiten unterwegs, und die Arbeitszeit kann bei Bürozutritt oder am Computer elektronisch erfasst werden. Trotzdem wird das Notieren der Arbeitszeit durch Medien und Arbeitgeber mit Bildern von historischen Stempeluhren aus der Zeit der Industrialisierung verunglimpft. So wird versucht, die Malaise bei der Arbeitszeiterfassung zu rechtfertigen. Denn ein Drittel der Arbeitnehmenden gibt schon heute an, dass ihre Arbeitgeber keine Arbeitszeiterfassung verlangen. Dieser skandalöse Gesetzesverstoss wird dann völlig sinnwidrig als Vertrauensarbeitszeit schöngeredet. Weil die Arbeitnehmenden heute immer flexibler arbeiten, müssen sie umso mehr darauf vertrauen können, dass ihre (Mehr-)Arbeit auch fair entschädigt wird.

Nicht die Abschaffung der Arbeitszeiterfassung ist darum das Gebot der Stunde. Vielmehr geht es um deren konsequente Einhaltung. Denn nur so können die Gesundheit der Arbeitnehmenden wirksam geschützt sowie Gratisarbeit und Betrug an den Sozialversicherungen in Milliardenhöhe verhindert werden.

Referat Arno Kerst mit Zahlen, Quellen und Berechnungen


Weitere Auskünfte:
Arno Kerst, Präsident

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